iPS-Zellen und Demenzen

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) in der Demenzforschung
Demenzerkrankungen sind durch einen progredienten Abbau und Verlust kognitiver Funktionen und Alltagskompetenzen gekennzeichnet, deren Pathophysiologie in den meisten Fällen nur ansatzweise bekannt ist. Einer der Gründe dafür ist der stark eingeschränkte Zugang zum Gehirn, so dass Modellsysteme etabliert werden müssen, die möglichst nahe an den realen Gegebenheiten liegen, um funktionelle Untersuchungen zu ermöglichen. Neben dem Potential zur Identifizierung molekularer Mechanismen sind diese in vitro Modelle auch für die pharmakologische Forschung wichtig, da sie u.a. dazu dienen können, therapeutische Targets zu identifizieren und pharmakologische Agenzien in einem nicht invasiven System zu testen.

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen), hergestellt aus dem Blut von Patienten, stellen dafür ein vielversprechendes System dar. Zum einen tragen diese Zellen die genetische Information ihres Spenders und spiegeln daher den patienten- und erkrankungsspezifischen Hintergrund wider, zum anderen tragen sie auch die für den Erkrankungsprozess verantwortlichen Merkmale. Des Weiteren besitzen sie eine vielfache Differenzierungskapazität (i.e. Pluripotenz), die es ihnen erlaubt, alle Zellentypen des Körpers zu bilden. Außerdem können sie auch durch Manipulationen im Labor in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.

In verschiedenen Projekten und Konsortien wird diesen Fragestellungen nachgegangen:

  • Human iPS Cell Technology for Alzheimer Research (HiPSTAR)
  • Plastizität des Alterns (PLAN)
  • Graduiertenkolleg: Protein, Modification, Ageing (ProMoAge)
  • Polysialylierung von Adhäsionsmolekülen in Neuronen
  • Sialinsäureinteaktion mit CD33 in Mikroglia

 

HiPSTAR
Als Teil des HiPSTAR-Konsortiums „Human iPS Cell Technology for Alzheimer Research (HiPSTAR)“ arbeiteten wir zusammen mit weiteren nationalen Forschungseinrichtungen an der Etablierung eines Alzheimer-spezifischen Bluthirnschranken-Modells.

Die Überwindung der Blut-Hirnschranke durch pharmakologische Agenzien spielt einerseits bei der Behandlung dementieller Erkrankungen eine übergeordnete Rolle. Die Blut-Hirnschranke ist andererseits aber auch direkt von funktionellen Veränderungen betroffen oder wird dadurch geschädigt. So wird im Verlauf der Alzheimer Demenz eine zunehmende Durchlässigkeit beobachtet, die auch die Infiltration von peripheren Immunzellen erlaubt, die entscheidend zum Fortschreiten des Krankheitsprozesses beitragen.

Zur Modellierung der Blut-Hirnschranke in einem in vitro Ansatz werden patientenspezifische iPS Zellen im Labor generiert und in Endothelzellen der Blut-Hirnschranke und deren Nachbarzellen wie Astrozyten, Neurone und Mikroglia differenziert.

Die Endothelzellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie dichte Verbindungen ausbilden, die den endothelialen Zusammenhalt gewährleisten und keinen parazellulären Transport zulassen. Astrozyten erhöhen die Dichtigkeit der Endothelzellen und haben dadurch einen großen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Blut-Hirnschranke. Dies zeigt sich unter anderem durch eine Erhöhung des elektrischen Wiederstands der Blut-Hirnschranke. Mikroglia sind die Makrophagen des zentralen Nervensystems. Sie sind als Teil des angeborenen Immunsystems essentiell für die Erhaltung der Homöostase, indem sie Entzündungsprozesse steuern, um Pathogene abzuwehren.

Die separat generierten Zelltypen werden in technisch aufwändigen Kultursystemen kombiniert und die Validität des Modells mittels verschiedener Techniken überprüft, z.B. durch Analyse der in den Zellen exprimierten, zelltypspezifischen Proteine mit einem High Content Imaging Systems für Hochdurchsatz-Analysen oder einem Epifluoreszenzmikroskop (siehe nachstehende Abbildung). So kann gezeigt werden, dass die ausdifferenzierten iPS Zellen sowohl die erwartete Morphologie aufweisen, als auch die Proteine exprimieren, die für den jeweiligen Zelltyp spezifisch bzw. für eine spezielle Funktion essentiell sind. Dies sind für die Barrierefunktion von Endothelzellen der Blut-Hirnschranke z.B. die Proteine TJP1 und OCLN und für Astrozyten das GFAP.


Im Rahmen des Forschungsprojektes werden auch Astrozyten aus iPS-Zellen generiert. Über 70 % der hergestellten Zellen stellen das Astrozyten-spezifische Protein GFAP her. Dies kann mittels Durchflusszytometrie nachgewiesen werden und ist ein guter Indikator dafür, dass die Herstellung effizient verläuft (siehe nachstehende Abbildungen). 


Plastizität des Alterns (PLAN)
Die Forschergruppe „Plastizität des Alterns (PLAN)“ untersucht den mit dem Altern einhergehenden Verlust an Plastizität in Hinblick auf soziale, psychologische, psychiatrische und neurologische Veränderungen. Ein zentrales Element ist die Studie „Alter, Gedächtnis, Gene und Umwelt (AGU)“, die seit 2017 durch das eigene Studienzentrum durchgeführt wird. Neben der klinischen, kognitiven und neuropsychologischen Charakterisierung werden auch Bioproben gewonnen, die für genetische und molekularbiologische Untersuchungen verwendet werden.

Wir sind in diesem Forschungsprojekt mit mehreren Projekten aktiv, die u.a. die neuronale Plastizität und die Stammzellplastizität untersuchen.

PLAN-Projekt 1: Neuronale Plastizität - extrazelluläre Vesikel als Biomarker

Die Abnahme neuronaler Plastizität im alternden zentralen Nervensystem ist weltweit Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte. Entsprechend sind Biomarker, die diesen Verlauf abbilden, ebenfalls von großem Interesse. Zusammen mit der Core Facility Massenspektrometrie untersuchen wir die neuronale Plastizität alternder Neurone.

Insbesondere liegt der Fokus auf der Untersuchung extrazellulärer Vesikel neuronalen Ursprungs. Extrazelluläre Vesikel können auf unterschiedliche Art und Weise entstehen und dienen der Kommunikation zwischen verschiedenen Zelltypen. Entsprechend lässt ihre Zusammensetzung Rückschlüsse auf zelluläre Prozesse ihrer Ursprungszellen und damit bestimmter Organe oder Gewebe zu. Da diese Vesikel die Bluthirnschranke passieren können, sind aus dem Gehirn stammende Vesikel auch im peripheren Blut zu finden und und sind dadurch der Analyse zugänglich.

Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, mit modernsten Technologien Proteomanalysen der extrazellulären Vesikel durchzuführen. Die gefundenen Proteine können Hinweise darauf geben, welche zellulären Prozesse während des gesunden Alterns im Gehirn ablaufen und wie sich diese im Rahmen dementieller Prozesse verändern. Idealerweise lässt sich aus diesen Analysen ein Risikoprofil bestimmen anhand dessen eine Prädiktion möglich ist. Zusätzlich wird ein in vitro Modell basierend auf patientenspezifischen iPS Zellen verwendet, welche zu Neuronen differenziert werden. Das Proteom der neuronalen extrazellulären Vesikel aus den Medienüberständen wird analysiert und mit dem Proteom aus Vesikeln, die aus dem Blut isoliert werden, verglichen, um neben der  Identifizierung eines Biomarkes ein System zu etablieren, in dem weitergehende funktionelle Untersuchungen in vitro durchgeführt werden können. Im nachstehenden Schema und der zugehörigen Expressionsanalyse mittels semiquantitativer PCR ist gezeigt, wie die neurale Entwicklung verfolgt werden kann. Aus OCT4-positiven, pluripotenten Stammzellen entwickeln sich embryonale und extraembryonale Zellen. Die embryonalen Zellen bilden Vorläuferzellen der drei Keimblätter Entoderm, Mesoderm und Ektoderm, die wiederum weiter differenzierte Vorläuferpopulationen bilden. Ektodermale Vorläufer bilden das Neuroektoderm, aus dem sich wiederum alle peripheren und zentralen Nervenzellen entwickeln. Post-mitotische Neurone teilen sich nicht mehr und bilden neuronale Netzwerke.

PLAN-Projekt 2: Plastizität alternder neuraler Stammzellen

Zusammen mit dem Institut für Anatomie und Zellbiologie untersuchen wir die Plastizität adulter Stammzellen und hier insbesondere den Alterungsprozess in Hinblick auf eine Reduktion der Plastizität und mögliche Zusammenhänge zur Alzheimer Demenz. Es besteht außerdem ein großes Interesse daran, grundlegende Mechanismen in Stammzellen zu charakterisieren, die mit der Alzheimer Demenz, kardiovaskulären Erkrankungen, dem Typ-2-Diabetes oder der Adipositas einhergehen. Diese Erkrankungen begünstigen sich gegenseitig und treten mit fortschreitendem Alter vermehrt auf.

Von neuralen Stammzellen, die im Erwachsenenalter in begrenzten Regionen wie z.B. dem Hippocampus persistieren, ist bekannt, dass sie die Taktgeber für Erhalt und Regeneration im Gehirn darstellen. Daher liegt die Vermutung nahe, dass sie auch eine Rolle in neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer Demenz spielen.

Die alternsbedingten Veränderungen von neuralen Stammzellen werden mit anderen adulten Stammzellmodellen wie den mesenchymalen Stammzellen verglichen, um das Einhergehen mit anderen Krankheiten besser zu verstehen.

Da primäre Kulturen am ehesten den tatsächlichen Zustand im Individuum abbilden, werden im Rahmen des Forschungsprojekts deshalb auch neurale Stammzellen mit Hilfe molekulargenetischer Methoden aus Patienten-spezifischen iPS-Zellen hergestellt und analysiert. Hierbei stehen das Alter und das Altern von Stammzellen gleichermaßen im Vordergrund. Humane neurale Stammzellen verändern sich mit zunehmendem Alter. Diese Veränderungen stören die Vermehrung der Stammzellen und sie stören auch das Vermögen, neue Zellen zu differenzieren. Im Fokus stehen alternsbedingte Veränderungen des Metabolismus im Mikromilieu der Stammzellnische. Die nachstehende Abbildung zeigt die Proteinexpression des Zellzyklusproteins CDKN2A in neuralen Vorläuferzellen. Darunter sind weiter terminal differenzierte neuronale Kulturen dargestellt (SOX2, TBR1).


Protein, Modification, Ageing (ProMoAge)
Das Graduiertenkolleg „Protein, Modification, Ageing (ProMoAge)“ ist fokussiert auf posttranslationale Modifikationen (PTM), die einen Schlüsselmechanismus für das Altern darstellen.

PTMs entstehen durch enzymatische (Phosphorylierung, Glycosylierung, Methylierung etc.) oder nicht enzymatische (z.B. Acetylierung, Succinierung) Verknüpfung spezifischer chemischer Gruppen oder Aminosäureseitenketten und beeinflussen sowohl die Struktur als auch die Funktion des entsprechenden Proteins. Die nachlassende Fähigkeit der Zelle, defekte Proteine zu erkennen und abzubauen, führt letztendlich zur Aggregation und Ablagerung abnormer Proteine während des Alterns.

Insbesondere werden PTMs in Genprodukten untersucht, von denen ein Zusammenhang mit der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung vermutet wird. Dies ist beispielsweise das Gen TREM2 (triggering receptor expressed on myeloid cells 2), dessen Produkt u.a. an der Phagozytose, z.B. von toxischen Amyloid-Plaques beteiligt ist (Jonsson et al. 2013). TREM2, wie auch andere mit der Alzheimer Erkrankung assoziierte Gene sind in Mikroglia, den „Immunzellen des Gehirns“, stark exprimiert, was eine Beteiligung der durch Mikroglia beeinflussten immanenten Immunantwort an der Pathogenese der Alzheimer Erkrankung nahe legt (Sims et al. 2017). Die PTMs des Oberflächenmoleküls TREM2 verändern sich in Abhängigkeit vom Alter und diese Veränderungen wirken sich auf die Funktion von TREM2 aus.

Ein in diesem Zusammenhang interessantes Model bieten induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen), weil sie eine molekulare und zelluläre Analyse von PTMs ermöglichen. Im Forschungsprojekt werden B-LCL von Patienten, die Träger einer funktionellen, mit der Alzheimer-Erkrankung assoziierten Variation im TREM2 Gen sind, als Ausgangspunkt für die Herstellung von iPS-Zellen verwendet. Diese iPS-Zellen werden zu Mikroglia differenziert, um TREM2 funktionell zu untersuchen.

Die nachstehende Abbildung zeigt die effiziente Induktion von spezifischen Oberflächenmolekülen (CD11C, CD11C) und eine funktionelle Analyse der Phagozytose mittels Durchflusszytometrie. Dafür werden den Zellen kleine Latexkugeln zur Phagozytose angeboten und die Anzahl aufgenommener Latexkugeln bestimmt.


Polysialylierung von Adhäsionsmolekülen in Neuronen
Das Projekt „Polysialylierung von Adhäsionsmolekülen“ untersucht Adhäsionsmoleküle und synaptische Proteine im Hinblick auf Veränderungen bei der Alzheimer Demenz. Zusammen mit dem Institut für medizinische Biochemie untersuchen wir Neurone und Immunzellen des Gehirns. Die Aufrechterhaltung der neuronalen Plastizität im adulten Gehirn ist ein wichtiger Bestandteil von Lern- und Gedächtnisprozessen. Die Dualität zwischen Veränderung und Stabilität ist ein Prozess, der durch die dynamische Regulation der Adhäsion zwischen den Zellen im Gehirn beeinflusst wird. Ein Kennzeichen des Alterns ist die Abnahme der Lern- und Gedächtnisleistung und eine verringerte Plastizität im Hippocampus. Patienten mit Alzheimer-Erkrankung zeigen verringerte Polysialylierung von Adhäsionsmolekülen, insbesondere in Gehirnregionen mit erhöhter Tau-Phoshorylierung. Von besonderem Interesse sind daher die funktionellen Auswirkungen der PTM von Adhäsionsmolekülen durch Polysialylierung.

Das Forschungsprojekt verwendet zur Herstellung von Neuronen Patienten-spezifische und altersspezifische iPS Zellen, deren Entwicklung in vitro nachvollzogen wird. Die iPS-Zellen werden aus Blut gewonnen. Nach etwa 3 Monaten können gereifte Neurone umfassend funktionell untersucht werden.

Die nachstehende Abbildung zeigt Immunfluoreszenz-Färbungen von neuralen Strukturen in der frühen Phase der Entwicklung mittels Lichtmikroskopie und einer Epifluoreszenz-Aufnahme. Weiterhin ist die verästelte und netzartige Morphologie reifer Neurone in der Morphologie gezeigt. Die effiziente Herstellung der glutamatergen Neurone wurde mittels Durchflusszytometrie untersucht (SLC17A7). Eine Patch-Clamp-Analyse bestätigt die Erregbarkeit der Neurone mit dem Neurotransmitter Glutamat.


Sialinsäureinteraktion mit CD33 in Mikroglia
Das Projekt „Sialinsäureinteraktion mit CD33“ untersucht Phagozytoseprozesse in Mikroglia mit Hilfe aufwendiger in vitro-Zellkulturen im Hinblick auf Veränderungen in der Alzheimer-Krankheit. Zusammen mit dem Institut für medizinische Biochemie untersuchen wir Alzheimer-spezifische Mikroglia, die aus Patienten-spezifischen pluripotenten Stammzellen gewonnen wurden.

Die nachstehende Abbildung zeigt schematisch die Einordung von Stammzell-basierten Zellkulturen als einem Bindeglied zwischen einfachen Zellmodellen und in vivo-Modellen.


Die Herstellung von Mikroglia aus pluripotenten Stammzellen ist gegenwertig in der Literatur nur wenig beschrieben. Die bestehenden Protokolle weichen stark voneinander ab und verwenden unterschiedliche Strategien. Das liegt vor allem daran, dass die Entwicklung dieser Zellen im Menschen noch nicht in vollem Umfang verstanden ist. Das Forschungsprojekt hat ein eigenes Differenzierungsprotokoll entwickelt. Die nachstehende Abbildung zeigt eine Immunfluoreszenzfärbung, welche Proteinexpression und Lokalisation essentieller Proteine darstellt (AIF1, PTPRC).

 

Die Alzheimer-spezifischen Mikroglia werden zur Untersuchung von CD33-abhängigen Signalwegen verwendet. Hierbei werden auch iPS-Zellen verwendet, die die mit der Alzheimer Demenz assoziierten Risikoallele in CD33 tragen. Das Forschungsprojekt führt detaillierte Analysen zur veränderten Immunplastizität von Mikroglia hinsichtlich des Alterns und hinsichtlich der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz durch. CD33 interagiert mit Sialinsäuren, wobei CD33 als hemmender Rezeptor die Phagozytose von Mikroglia entscheidend beeinflusst. Mikroglia sind in der Alzheimer Demenz hinsichtlich ihrer Phagozytose-Eigenschaften verändert.